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Zwischen Milchviehhaltung und Landtourismus

Studienfahrt der Alsfelder Abschlussklasse 2016/17 nach Süddeutschland:

Die fünftägige Studienfahrt nach Süddeutschland bot den Teilnehmern ein breitgefächertes Rahmenprogramm vom Geflügelhof über die Direktvermarktung bis zur Unternehmensbesichtigung im vor- und nachgelagerten Bereich.

Hessens größtes Getreidelager

Den ersten Stopp legten die Teilnehmer im Hanauer Hafen ein, wo das Getreidelager der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main eG besichtigt wurde. Herrn Gerhard Einhoff der Leiter der Fuhrparksverwaltung empfing und führte die Gruppe. Herr Einhoff erklärte, dass das Hafenlager nach dem kürzlich erfolgten Umbau mit neuer Brückenwaage, einer 200-Tonnen-Annahme und drei Rundsilos mit einer Kapazität von jeweils 5500 Tonnen nun über eine Lagerkapazität von 75.000 Tonnen verfüge und damit Hessens größtes Getreidelager sei. Hanau stellt durch die Anbindung mit Hafen, Bahn und Straßennetz als auch die geographische Lage einen zentralen Standort im Logistikgebiet Hessen der RWZ Rhein-Main eG dar. Hier begeisterte besonders der Transport auf dem Wasserweg aufgrund der Ladekapazitäten von teilweise über 2.000 Tonnen.

Von der Milchviehhaltung zum Geflügel-Direktvermarkter

Als zweite Station des ersten Tages wurde der Hof der Familie Dangel in Altheim auf der schwäbischen Alb besichtigt. Familie Dangel bewirtschaftet hier in vierter Generation einen Betrieb mit rund 90 Hektar, Geflügelproduktion und Vermarktung sowie einem kommunalen Lohnunternehmen. Die anfallenden Arbeiten werden mit drei Familien-Arbeitskräften (AK), zwei Fremd-AK und sechzehn Teilzeit-AK bewältigt. Den wirtschaftlichen Zwang zur Betriebsvergrößerung hat Familie Dangel in 1999 durch den Ausstieg aus der Milchviehhaltung und die Umstellung auf Geflügelproduktion für sich lösen können. Heute werden in einem eigenen EU-zertifizierten Schlachthaus übers Jahr verteilt 42.000 Hähnchen, je 2.000 Enten und Gänse und 500 Puten zu Frischfleisch, Wurstwaren und Produkten für die Warmtheke des Hofladens verarbeitet. Neben dem Hofladen, der an 3 Tagen in der Woche öffnet, erfolgt die Vermarktung über einen SB-Automaten und 25 Fachmetzgereien zwischen Stuttgart und Ulm. Da auch in dieser Region durch den Ausbau der A8, Stuttgart 21 und einen neuen Containerverladebahnhof ein hoher Druck auf die landwirtschaftliche Fläche entstanden ist, realisiert der Betrieb heute sein Wachstum über Betriebspacht und Kooperation für die Puten- und Hähnchenmast.

Rund um die Grünfutterernte

Klassenfoto Alsfeld AbschlussfahrtDer zweite Tag der Exkursion stand ganz im Zeichen der Futterernte. In Bad Saulgau wurde das Werk für Futtererntetechnik der 1913 gegründeten Claas Gruppe besichtigt. Seitdem Claas 1969 die Josef Bautz AG in Bad Saulgau übernommen hat, werden hier Mähwerke, Wender, Schwader und Ladewagen produziert. Zudem werden Vorsatzgeräte und das Häckselaggregat für den Feldhäcksler im südlichsten CLAAS Produktionsstandort Deutschlands produziert. Nach einer Unternehmens- und Standortvorstellung durch Herrn Simon Bohner (Verkaufsförderung) konnten sich die Teilnehmer bei einer Werksbesichtigung von einer hoch modernen Produktion, die auch als Zulieferer für andere Branchen fungiert, überzeugen. Am Standort Bad Saulgau befindet sich weiterhin eines der modernsten Testzentren für Futtererntetechnik der Welt sowie das Kompetenzzentrum für Traktor-Implement-Automation der CLAAS Gruppe. Jährlich werden mit Hilfe von 550 Mitarbeitern auf 170.000 m² 15.000 bis 20.000 Maschinen gefertigt. Hiervon sind rund 70 % für den Export bestimmt und werden per LKW- und Bahnverladung zu regionalen Vertriebspartnern transportiert.

Im Anschluss an die Werksbesichtigung folgte die Besichtigung eines typischen Kunden der Claas-Futtererntetechnik. Die Familie von Tobias Dreher bewirtschaftet auf ihrem Hof einen vollautomatisierten Michviehstall mit 120 Milchkühen sowie 2 Automatischen Melksystemen, einem Fütterungsroboter und Spaltenschieber-Roboter. Insgesamt umfasst der Betrieb 250 ha, die sich aus 100 ha Grünland und 150 ha Ackerland zusammen setzten. Es werden Mais, Triticale, Weizen, Gerste und Raps angebaut. Das Erntegut wird neben der Milchviehhaltung auch über eine 400 kW Biogasanlage veredelt. Über eine Kooperation mit einem Hackschnitzel-Heizkraftwerk werden 80 Haushalte mit Wärme versorgt. Als weitere Unternehmensstandbeine konnten die Angebote „Urlaub auf dem Bauernhof“ und „Bauernhofgastronomie“ erfolgreich etabliert werden, wie Herr Dreher berichtete. Für Feriengäste stehen aktuell 17 Wohnungen mit 80 Betten zur Verfügung. Insgesamt arbeiten 7 AK auf dem Betrieb wovon 2 in der Hauswirtschaft tätig sind. Bereits beim Stallrundgang fiel den Teilnehmern das in der Ration eingesetzte Trockengrün auf.

Deshalb bot die im Anschluss besichtigte Futtertrocknung in Kempten beste Gelegenheit sich über die Vorteile der technischen Grünfuttertrocknung bei dem Geschäftsführer Herrn Engert zu informierten. Die 1972 gegründete Genossenschaft umfasst heute 320 Mitglieder in einem Einzugsradius von 30 km um Kempten. In der Regel erfolgt eine eintägige Bodentrocknung bevor die Mitglieder ihren Grünlandaufwuchs zur Trocknung fahren, da eine komplette Bodentrocknung bedingt durch den hohen Niederschlag von 1.400 mm/Jahr ausscheidet. Dort wird das Gras von einem stationären Häcksler in 2 mm große Stücke zerkleinert, bevor die Trocknung mit 300 bis 600 Grad heißer Luft erfolgt. Die mit Erdgas betriebene Trocknung verfügt über eine thermische Leistung vom 10 Megawatt und ist somit in der Lage rund 10 Tonnen Wasser je Stunde zu verdampfen. Durch die schnelle und schonende Trocknung lassen sich Futterqualitäten mit durchschnittlich 18 % Eiweißgehalt, 7 MJ NEL und hohen Karotingehalten aus einem vier Wochen alten Aufwuchs erzeugen, wie Herr Engert berichtete. Neben der Selbstversorgung der Genossenschaftsmitglieder stellt der Export von 1/3 der produzierten Menge bis nach Südkorea und Saudi-Arabien eine wichtige Funktion der Genossenschaft dar. Durch den Grünfutterverkauft erzielen die Landwirte einen Deckungsbeitrag von rund 1.200 € je Hektar. Zum Abschluss des Tages legte die Gruppe noch einen „schnellen Stopp“ auf dem heißen Asphalt der Kartbahn in Kaufbeuren ein.

Der dritte Reisetag führte zur Rinderbesamungsstation in Memmingen, bei der die Gruppe in reger Diskussion vom Stationsleiter Herrn Bischoff über die Besamungsstation in Memmingen und die aktuellen Herausforderungen der Rinderzucht informiert wurde. Die Besamungsstation mit 4.000 Mitgliedern und 40 Mitarbeitern verfügt aktuell über rund 130 Bullen der Rassen Braunvieh, HF, Fleckvieh und Weißblaue Belgier. Nach dem Ankauf verbringen die Tiere ihr komplettes Leben auf der Besamungsstation oder in einem angemieteten Wartestall. Nach einem Testeinsatz und der endgültigen Zuchtwertschätzung wird das produzierte Sperma neben dem Verkauf an die Mitglieder zu 34 % in die EU , zu 42 % in den Mittleren Osten und zu 17 % nach Osteuropa, Asien und Südamerika exportiert.

Anschließend wurde der Viehweidhof in Hausen besucht. In dem 2012 neu erbauten Kuhstall haben 750 Milchkühe mit einer Milchleistung von 10700 l Jahresleistung ihr zuhause. Die TMR besteht aus Gras- und Maissilage weiterhin aus Stroh, Rapsschrot, Sojaschrot und Maisschrot. Das Melken erfolgt im 60er Melkkarusell. Die Kühe werden dreimal täglich gemolken. In dem Betrieb sind 12 Arbeitskräfte beschäftigt. Vom eigenen Herdenmanager bis zum eigenen Tierarzt erfolgt eine gute Betreuung. Es werden 220 ha in der schwäbischen Schotterebne mit Ackerzahlen zwischen 30-70 bewirtschaftet. Die Bodenbearbeitung und Pflege wird selbst erledigt, die Ernte erfolgt überbetrieblich.

Am Abend wurde die Hirschbräu Brauerei in Sonthofen besichtigt.  Die Brauerei produziert rund 35.000 Hektoliter pro Jahr, die neben dem Export in 26 Länder in einem Absatzradius von 50 km um die Brauerei vertrieben werden. Neben einer umfangreichen Führung durch alle Produktionsschritte der Bierherstellung hatten die Teilnehmer die ober- und untergärigen Spezialitäten des Hauses zu verkosten.

Am Vormittag des vierten Tages stand eine ausgiebige Wanderung durch das Naturschutzgebiet „Eistobel“ bei Isny. Ein gut gesicherter Pfad führt durch das dreieinhalb Kilometer lange Naturschutzgebiet vorbei an rauschende Wasserfälle und tiefe Strudellöcher, riesige Gesteinsblöcke und gewaltige Felswände mit einem Alter von 15.000 Jahren. Nach einer verdienten Stärkung im nahe gelegenen Gasthaus erfolgte die Besichtigung der Käseküche in Isny. Die 1998 gegründete Bio-Käserei verarbeitet 300.000 kg von Bioland- und Demeter-Betrieben, die die Molkerei wegen fehlender Absatzmärkte gründeten. Heute verarbeiten 16 Mitarbeiter die Milch der 6 Zulieferer zu Schnitt- und Hartkäse, der deutschlandweit vermarktet wird und einem Milcherlös von 50 bis 55 Cent pro Liter entspricht. Insgesamt 2.500 Arbeitskraftstunden pro Jahr verwenden die Mitarbeiter auf die Pflege der 30 Tonnen Käse im Reifekeller und Lager. Nach der Verkostung der Käsespezialitäten und einer regen Diskussion zur Zukunft der Milchviehhaltung ging es für die Gruppe weiter zur Brennerei Fink. Familie Fink bewirtschaftet seit 1895 einen Betrieb mit 20 ha Grünland und 25 Milchkühen in einer Region mit 1.600 mm Jahresniederschlag. Neben der Landwirtschaft zählen auch Ferienwohnungen und die Brennerei zu den betrieblichen Standbeinen. Die Ausweitung der Landwirtschaft stellte für Familie Fink keine Wachstumsmöglichkeit dar, da durch die umliegenden Biogasanlagen ein großer Druck auf die Pachtflächen von 600 €/ha besteht. Daher entschied man sich die vorhandenen Brennrechte zu vergrößern und in eine moderne Verschlussbrennerei rund 60.000 € zu investieren. Mit dieser können seit 2 Jahren aus 60 Tonnen Obst und Getreide rund 3.000 l reiner Alkohol pro Jahr produziert werden. Vorwiegend werden Äpfel, Birnen und Steinobst verarbeitet und über Führungen, den Online-Handel, Wiederverkäufer und verschiedene Märkte an den Kunden gebracht.

Als letzte Station der Studienfahrt besichtigten die Teilnehmer den Vion-Schlachthof in Crailsheim. Die Vion-Gruppe betreibt 6 Schlachthöfe für Rinder, 7 für Schweine, 3 Kombinierte sowie 2 Produktionsstätten für Convenience Produkte. Am Standort Crailsheim werden wöchentlich 20.500 Schweine und rund 2.500 Rinder geschlachtet und zerlegt. Die Vermarktung erfolgt zu 1/3 über den Lebensmitteleinzelhandel, zu 1/3 über den Export und zu 1/3 über Weiterverarbeiter. Der Schlachthof unterliegt 9 unterschiedlichen Zertifizierungssystemen, da der Export nach Japan, Korea, Russland, Italien und in die Schweiz jeweils eigenen Normen unterliegt. Mit 650 Beschäftigten erzielte der Schlachthof in Crailsheim im Jahr 2016 einen Umsatz von 350 Mio. Euro. Einen gewichtigen Teil in der Diskussion mit dem Betriebsleiter verwendeten die Teilnehmer auf die Themen gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung, Tierschutz und Tierwohl. Auch über neue Herausforderungen, wie z.B. Ebermast, fand ein reger Austausch statt.

Neben den fachlichen Einblicken in die Landwirtschaft und den vor- und nachgelagerten Bereich trug auch das bunte Abendprogramm und das gesellige Beisammensein zum positiven Miteinander in der Klasse bei, das sicherlich auch über die gemeinsame Schulzeit anhalten wird. Begleitet wurden die Studierenden von den Fachlehrern Freimut Krug und Sebastian Götz.